Tagungsbericht der Frühjahrestagung 2010 in Hamburg
Am 04. und 05. Mai 2010 führte die 1. wissenschaftliche Vereinigung Projektmanagement in der Hamburger Hafencity ihre diesjährige Frühjahrstagung durch. Nach einem informellen get-together unter Experten am Abend des 04. Mai standen am 05. Mai aktuelle Fragen des Projektmanagements im Fokus. In Räumlichkeiten der Commerz Real AG und unter Moderation des Präsidenten, Gerhard Daubendiek, tagten neben den Mitgliedern der Vereinigung ausgewählte Führungspersönlichkeiten aus dem nationalen und internationalen Projektmanagement. Das Programm umfasste neben vier Fachvorträgen zum Projektmanagement und einer intensiven Diskussion eine Besichtigung der Baustelle der Hamburger Elbphilharmonie.
Den Auftakt machte Prof. Dr. Alexander Malkwitz, Mitglied der Geschäftsleitung der A.T. Kearney GmbH und Inhaber des Lehrstuhls für Baubetrieb und Bauwirtschaft an der Universität Duisburg Essen. In seinem Vortrag „Excellence in Capital Projects“ stellte er die Ergebnisse einer globalen Studie von A.T. Kearney vor, in der führende Unternehmen mit großen Investitionsprojekten sowie global tätige Generalunternehmer und Projektabwickler befragt wurden. Malkwitz beschrieb die für große Investitionsprojekte schwieriger werdende Marktsituation, die einerseits gekennzeichnet ist durch eine sich konsolidierende Industrie und einen steigenden Bedarf, Investitionsprojekte durchzuführen und andererseits durch immer volatiler werdende Rohstoffmärkte und komplexer werdende Finanzierungsbedingungen. Einen weiteren kritischen Punkt identifizierte die Studie im Mangel an qualifizierten Projektmanagementmitarbeitern und die steigende Marktmacht der anbietenden Generalunternehmen und Kontraktoren, die einen breiten Marktwettbewerb vielfach verhindert. Malkwitz prognostizierte, dass sich die Auftraggeber von der Vorstellung wohl verabschieden müssen, bei Abschluss eines (Pauschal)Vertrags mit einem Generalunternehmen volle Budgetsicherheit zu haben – die Studie lässt eine weitere Zunahme von Budgetüberschreitungen erwarten. Zukünftige Auftraggeber werden sich eher an einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit orientieren müssen.
Dipl.-Ing. Steffen Feldmann, Managing Partner von Business Improvement Associates berichtete über Projektmanagement im Kontext der strategischen Planung internationaler Unternehmen. Zunächst erläuterte er, dass strategische Planung immer die Bearbeitung eines vollständigen Strategieprozesses bedeutet. Dieser umfasst der u.a. die Erarbeitung von Vision und Mission Statement sowie des strategischen Zeitrahmens, der strategischen Richtung, der Wettbewerbsdifferentiale und einer Produkt/Markt-Matrix. Diese, das Was und das Warum beantwortenden Prozessschritte würden im Allgemeinen in den Unternehmen mit hoher Qualität abgearbeitet, so Feldmann. Das Wie und somit die Implementierung der Strategie sei meist jedoch der kritische Punkt des Prozesses. Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen sowie Feldmanns eigene Erfahrungen zeigen, dass nur etwa 10% aller Strategieprozesse effektiv implementiert werden. Die Gründe hierfür sind vielfältig, Feldmann benannte u.a. fehlendes Commitment, ein mangelndes Bewusstsein für die Notwendigkeit von Vorinvestitionen in das Change Management sowie die Fehleinschätzung vieler Mitarbeiter bezüglich ihrer Projektmanagementfähigkeiten. Als wesentliche Werkzeuge der Implementierung stellte Feldmann quantitativ die Balanced Scorecard sowie qualitativ das Taktische Projektmanagement heraus, taktisch deshalb, da es an dieser Stelle des Gesamtprozesses sämtliche aufgelaufenen Fehler korrigieren und korrekt implementieren muss und dadurch häufig alleinig für die Wertschöpfung eines Prozesses verantwortlich zeichnet.
Im zweiten Teil der Veranstaltung stellte zunächst Dr. Klaus Eschenbruch, Experte für juristisches Projektmanagement in Bauvorhaben und 1. stellvertretender Vorsitzender der wissenschaftlichen Vereinigung die Frage „Bei Großprojekten ist alles anders?“ Aufbauend auf die Frage, wie Großprojekte zu definieren sind, skizzierte er Anforderungen an die Strukturierung und Ausrichtung des Projektmanagements bei einer Großprojektrealisierung. Er erläuterte das Erfordernis einer ausreichend besetzten PM-Organisation und die überproportionale Bedeutung von Entscheidungsmanagement und Projektorganisation. Eschenbruch betonte, dass jenseits aller Fachqualifikation in Großprojekten vor allem die Projekterfahrung der Projektverantwortlichen einen wesentlichen Erfolgsfaktor darstellt. Die Projektaufgabe „Recht“ gewinnt mit steigendem Projektrisiko generell an Stellenwert, doch Eschenbruch machte deutlich, dass in Großprojekten darüber hinaus besondere Aufgabenstellungen anfallen, die die Einbeziehung professioneller juristischer Expertise notwendig macht. Beispielhaft nannte er u.a. die Ausgestaltung von Organisationsvorgaben und Prozessen, standardisierte Verträge und die Entwicklung von Systemen für die konsensuale Streitschlichtung.
Das konkrete Beispiel der Elbphilharmonie wurde von Dipl.-Ing. Christian Gorris, Abteilungsdirektor und stellvertretender Leiter des Baumanagements der Commerz Real AG vorgestellt. Zunächst skizzierte er die Projektidee, stellte den Standort vor und erläuterte die Projekthistorie. Anhand von Plänen, Photos, Statistiken und Zahlenwerken erläuterte er Feinheiten des architektonischen Entwurfs und stellte sie baubetrieblichen und ingenieurtechnischen Notwendigkeiten gegenüber. Dabei konnte er – für die Projektmanagementexperten von besonderem Interesse – mit einer Vielzahl von Details hinsichtlich Projektstruktur, -kosten, -ablauf und -vertragsmanagement aufwarten. Insbesondere vor dem Hintergrund der zahlreichen Presseberichte lieferte Gorris eine kontrastreiche Mischung aus professioneller Expertise, harten Fakten und detaillierten Hintergrundinformationen.
Bei der abschließenden zweistündigen Besichtigung der Baustelle der Elbphilharmonie unter fachkundiger Führung von Christian Gorris konnten viele der angesprochenen Themen noch einmal veranschaulicht werden. Vor der Kulisse des zukünftigen Konzertsaals und mit Ausblick auf den pulsierenden Hamburger Hafen wurden bereits Ideen für weitere anregende Tagungen der 1. wissenschaftlichen Vereinigung Projektmanagement entwickelt.