Tagungsbericht der Jahrestagung 2011 in Berlin
Am Abend des 23. März stand zunächst der informelle Austausch und der praxisnahe Diskurs unter Experten im Vordergrund. Neben den Mitgliedern der 1. Wissenschaftlichen Vereinigung waren 20 ausgewählte Führungspersönlichkeiten aus dem nationalen und internationalen Projektmanagement eingeladen, unter der Leitfrage „Projektmanagement – Quo vadis?“ zu diskutieren, welche aktuellen Entwicklungen das Projektmanagement in der Bau- und Immobilienwirtschaft nimmt und welche zukünftigen Tendenzen sich abzeichnen.
Am 24.03. fand die Tagung im Konferenzzentrum des Flughafens Berlin-Schönefeld ihre Fortsetzung. Moderiert vom Präsidenten der Vereinigung, Gerhard Daubendiek, wurde das Thema der Tagung in vier Fachvorträgen aus unterschiedlichster Weise beleuchtet und in intensiven Diskussionen vertieft.
Megatrends
Den ersten Impuls gab Univ.-Prof. DI Dr. techn. Arnold Tautschnig von der Universität Innsbruck der seinen Vortrag mit der provokanten These startete „es gibt keine aktuellen Entwicklungen im Projektmanagement.“ Im Folgenden zeigte er – abgeleitet aus dem Status Quo – vier Megatrends auf, die das Projektmanagement maßgeblich prägen werden:
- Die Forderung nach erhöhter Nachhaltigkeit zukünftiger Projekte, die eine fachliche Kompetenz des Projektmanagers in diesem Bereich unverzichtbar macht;
- Die stets komplexer verwendende Haustechnik, die eine massive Verschränkung der Disziplinen und damit im höchsten Maße Koordination und Lenkung erfordert;
- Das Multiprojektmanagement, das zusätzlichen Steuerungsaufwand notwendig macht und gerade im internationalen Bereich noch längst nicht ausgereift ist sowie
- Das Verlangen nach Partnerschaft und partnerschaftlicher Projektabwicklungen, was eine neue Rolle des Projektmanagers erfordert.
Als Reaktion auf diese Megatrends stellte Tautschnig neue Dienstleistungen und neue Tools sowie neue Abwicklungs- und Partnerschaftsmodelle vor und ließ dies in einem Ausblick münden, der die Auswirkungen auf die Hochschulausbildung skizzierte. Dass er damit den Nerv der Tagungsteilnehmer getroffen hatte, zeigte die intensive Diskussion im Anschluss an den Vortrag. Neben den genannten und alternativen Partneringmodellen wurden insbesondere die zentral notwendigen Kompetenzen des Projektmanagers erörtert und Möglichkeiten beleuchtet, wie diese in die universitäre Ausbildung zu integrieren wären.
Management von Projektrisiken
Die Tagung wurde fortgesetzt mit dem Vortrag „Management von Projektrisiken“ von Rechtsanwalt Dr. Klaus Eschenbruch von der Kanzlei Kapellmann und Partner. Der Experte für juristisches Projektmanagement in Bauvorhaben und erster stellvertretender Vorsitzender der Wissenschaftlichen Vereinigung eröffnete den Diskurs mit der Frage „Projektmanagement und Projektrisiken – ein unvereinbares Begriffspaar?“ Zunächst stellte Eschenbruch klar, dass mit den Werkzeugen des Projektmanagements Projektrisiken minimiert, jedoch nicht ausgeschlossen werden können. Vielmehr entscheidend, so Eschenbruch, ist der gekonnte Umgang mit Projektkrisen, die trotz professionellem Risikomanagement eintreten können. Basierend auf seiner reichhaltigen Erfahrung mit zahlreichen Großprojekten zeigte Eschenbruch Behandlungsmaximen für die Bewältigung derartiger Projektkrisen auf, von denen eine Auswahl beispielhaft genannt sein soll:
-
Hinzuziehen externer Experten als Diskussionspartner zur Weitung der Perspektive und Eröffnung von Handlungsalternativen,
-
Einwirken auf die Beteiligten im Sinne einer De-Emotionalisierung zur Absicherung einer objektiven Entscheidungsfindung,
-
Untersuchung zu, bzw. Umstellung auf alternative Bauabläufe, darüber hinaus Betreiben von Agilem Projektmanagement,
-
Überprüfung und Verbesserung der Projektkommunikation,
-
Verfolgen von planerischen Lösungen, die im Sinne der Nachhaltigkeit nachträgliche Änderungen zulassen,
-
Ersatzvornahme in Bezug auf unwillige oder ungeeignete Firmen,
-
Rückstellen von Änderungen bei terminkritischen Prozessen unter Inkaufnahme nachträglicher Umbauten und unter Beachtung der immobilienwirtschaftlichen Folgen,
-
Einsatz von interdisziplinären Teams und ggf. Dritten zur Lösung von Einzelprojekten,
-
enges Controlling und transparente Berichterstattung.
Basierend auf diesen Handlungsmaximen erläuterte Eschenbruch die Rolle der Projektaufgabe „Recht“. Verträge können Projektkrisen nicht verhindern, jedoch deren Eintrittswahrscheinlichkeit durch sachgerechte Ausgestaltung verringern. Bei Eintritt der Krise sollte die Projektaufgabe Recht im Hinblick auf die Streitigkeiten ein Stück zurücktreten, bis eine Projektstabilisierung eingetreten ist. Beim Neuaufsetzen des Projekts ist insbesondere das Vertragsrecht relevant, um zügig neue Zwischen- und Ergänzungsvereinbarungen zu treffen, welche die Hauptverträge ergänzen. Dabei muss zum Teil auf flexiblere Vertragsformen zurückgegriffen werden, etwa in Form von Zielkostenvereinbarungen, cost-plus-fee-verträgen oder Einheitspreisverträgen.
In der lebhaften Diskussion fanden Eschenbruchs Thesen breite Zustimmung, wobei insbesondere die Forderung nach offenen Prozessen, um neue Handlungsoptionen zu gewinnen, von zahlreichen Beteiligten unterstrichen wurde.
Planungs- und Projektmanagement aus Entwicklersicht
Den zweiten Teil der Veranstaltung eröffnete Dipl.-Ing Martin Rodeck, Geschäftsführer der ECE Office GmbH mit seinem Vortrag „integriertes Planungs- und Projektmanagement für Großprojekte“. Mit dem Blickwinkel des Investors und Projektentwicklers zeigte Rodeck zunächst Faktoren auf, anhand derer der Projekterfolg sichergestellt werden kann. Neben Nutzerbedarfsanalyse, Programming, Integration, SWOT-Analyse, Standortanalyse, nannte Rodeck vor allem die Targetstruktur und Investitionslenkung, die von großer Bedeutung für die Weichenstellung im Projekt seien. Rodeck betonte – ein auch in der Expertenrunde vielfach betonter Punkt – dass sämtliche Werkzeuge nicht nur frühzeitig eingesetzt werden müssen, sondern im Projektverlauf konsequent überprüft und fortgeschrieben werden müssen. Mit zehn Thesen schärfte Rodeck sein Bild des integrierten Projektmanagements. dabei formulierte er u.a. Forderungen nach größtmöglicher Transparenz, ganzheitlicher Projektbearbeitung, Partnerschaftlichkeit im Prozess, präzisem Informationsaustausch, integrierender Projektstruktur und enger Einbindung des Entwurfsarchitekten. Abschließend erläuterte Rodeck anhand des Baus der neuen Konzernzentrale der ThyssenKrupp AG, wie die genannten Maximen in einem Großprojekt greifen können.
Baustellenbesichtigung des neuen Berliner Flughafens
Den Abschluss des Vortragsteils der Tagung bildete Dr. Manfred Körtgen, Geschäftsführer Betrieb des neuen Berliner Flughafens. Körtgen präsentierte das in jeder Hinsicht imposante Projekt in seiner gesamten Bandbreite: Nach einem kurzen Blick auf die Entwicklung des Luftverkehrsmarkts Berlin, zeichnete er ein sehr tiefgründiges, detailkundiges und von fachkundiger Expertise kündendes Portrait des Flughafenprojekts, belegt mit harten Fakten und wissenswerten Hintergrundinformationen. Dabei erläuterte er – für die anwesenden Experten von besonderem Interesse – die Managementstrukturen, -abläufe und -prozesse in ihrer ganzer Vielschichtigkeit und Komplexität und verdeutlichte den hohen Anspruch der Aufgabe.
Im Rahmen einer mehrstündigen Führung, die nachmittags unter Führung von Dr. Körtgen stattfand, konnten sich die Tagungsteilnehmer selber ein Bild von den enormen Dimensionen des Projekts machen. In intensiven Diskussionen vor Ort konnten viele der gezeigten Prozesse noch einmal veranschaulicht, offene Fragen geklärt und angesprochene Themen vertieft werden.
Diskussion und Ausklang
Das durchweg positive Feedback der Tagungsteilnehmer, die große Diskussionsfreude im Anschluss an die Vorträge und der intensive Fachaustausch an beiden Tagen der Veranstaltung, können als Beleg für den vollen Erfolg der Tagung gewertet werden.
Man darf auf die nächste Tagung der Wissenschaftlichen Vereinigung, die für das Frühjahr 2012 in München geplant ist, gespannt sein.