BGH entscheidet über die Wertung von Nebenangeboten

Der BGH hat Anfang 2014 entschieden, dass oberhalb der Schwellenwerte Nebenangebote nur dann zulässig sind, wenn neben den Preis weitere Zuschlagskriterien treten. Zu diesem Zweck sind Mindestanforderungen zu formulieren, die Nebenangebote zu erfüllen haben. Unterhalb der Schwellenwerte ändert sich die Situation nicht: Eine Definition von Mindestanforderungen ist nicht notwendig, um Nebenangebote zuzulassen.

Unter bestimmten Bedingungen bieten Sonderverfahren Vorteile. Das Bild zeigt einen Vortrieb, der mit einem Tübbingschild aufgefahren wurde. Das Verfahren hat sich bei geringen Überdeckungen, engen Kurven, langen Strecken und schwierigen geologischen Verhältnissen als Alternative zum Rohrvortrieb bewährt. Im Vergleich zum Stollenbau ist es meist wirtschaftlicher. Sollen solche Sonderverfahren, die mitunter nur von wenigen Unternehmen ausgeführt werden, angeboten werden können, ist das Instrument des Nebenangebotes unverzichtbar.

1. Situation

Bis Anfang des Jahres lagen zu der Frage, ob bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte, bei denen der Preis das alleinige Zuschlagskriterium ist, Nebenangebote zugelassen werden können, widersprüchliche Entscheidungen vor: Das OLG Düsseldorf traf Anfang 2010 einen Beschluss, nach dem die Abgabe von Nebenangeboten dann schon nicht erlaubt ist, wenn als Zuschlagskriterium ausschließlich der niedrigste Preis vorgesehen ist1. Das OLG Schleswig hingegen fällte Mitte 2011 einen gegenteiligen Beschluss, in dem es entschied, dass Nebenangebote auch dann zu werten sind, „wenn der Preis das alleinige Zuschlagskriterium“2 ist.

Das OLG Jena hatte im August 2013 über einen ähnlichen Fall zu entscheiden. Wegen der bisherigen, widersprüchlichen Entscheidungen und unter Bezugnahme auf einen weiteren Fall legte das OLG Jena3 die Sache daher dem BGH vor.

Der BGH schließlich entschied Anfang 2014, dass Nebenangebote dann nicht zugelassen werden dürfen, wenn der Preis das alleinige Zuschlagskriterium ist4. Die Entscheidung des BGH ist für die Vergabe öffentlicher Bauaufträge wichtig, weil damit eine bislang bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt ist. Das Gericht argumentiert, dass es bei einer verbindlichen Bindung einzig an den Preis nicht möglich sei, ein Angebot anzunehmen, welches zwar preislich geringfügig günstiger, qualitativ aber weit abgeschlagen rangiere (S. 8, RN 17). Dies widerspräche dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit. Im Einzelfall sei es angemessen, die Gleichwertigkeit von Nebenangeboten gegenüber dem Hauptangebot zu prüfen (S. 9 RN 18), der BGH habe aber allgemein gültig zu entscheiden. Daraus resultiere, dass neben die Prüfung des Preises weitere Kriterien treten müssen, die eine Wertung von Nebenangeboten ermöglichen. Das Gericht weist darauf hin, dass diese Feststellung nicht dazu führen dürfe, dass die Mindestanforderungen an das Bauwerk in allen „Aspekten und Details“ (S. 11 RN 22) beschrieben werden müssten. Denn das hätte zur Folge, dass eventuelle Nebenangebote vorweggenommen werden müssten und Nebenangebote dann nur in diesem Rahmen zulässig wären (S. 10 RN 22). Nach Abwägung des Zielkonflikts, Mindestanforderungen an Nebenangebote formulieren zu müssen und gleichzeitig Nebenangebote zu ermöglichen, kommt das Gericht zu dem Schluss, dass es „erforderlich, aber … auch ausreichend ist, dass den Bietern … die wesentlichen Merkmale deutlich gemacht werden, die eine Alternativausführung aus Sicht der Vergabestelle aufweisen muss.“ (S. 11 RN 23). Abschließend stellt das Gericht den Ablauf der Prüfung und Wertung von Nebenangeboten dar: Es ist zu prüfen, ob die Nebenangebote die Mindestanforderungen erfüllen, und falls das der Fall ist, werden sie mit den übrigen Bestandteilen des Angebots einer Wertung entsprechend den Zuschlagskriterien unterzogen (S. 12 RN 24).

2. Problematik reiner Preiskriterien zur Auswahl des Angebotes

Nach dem Grundsatz der VOB ist das wirtschaftlichste Angebot zu wählen. Damit ist nicht das in betriebswirtschaftlicher Hinsicht wirtschaftlichste Angebot gemeint, sondern dasjenige, was sich für den Auftraggeber bei Betrachtung aller relevanten Kriterien als das am besten geeignete Angebot darstellt. Dies ergibt sich aus VOB/A § 16 Abs. 7, mit dem auch „Ästhetik“ und „Zweckmäßigkeit“ als Zuschlagskriterien genannt sind, die keinen Einfluss auf eine Wirtschaftlichkeit im betriebswirtschaftlichen Sinne haben.

Ausschließlich nach dem Preis können Güter beurteilt werden, die sich in keinem anderen Kriterium als dem Preis unterscheiden können. Hierbei kann es sich um Güter handeln, die mit einem hohen Grad von Standardisierung und damit gleicher Qualität hergestellt werden. Bei Bauwerken handelt es sich nicht um standardisierte Güter, sondern es handelt sich um Einzelanfertigung, die für einen Ort geplant werden und nur dort verwendet und hergestellt werden können.

Nur dann, wenn das Bauwerk so detailliert und abschließend beschrieben ist, dass sich die Angebote in nichts als dem Preis unterscheiden können, ist die Identifikation des besten Angebotes mit dem einzigen Kriterium Preis möglich. Sobald Nebenangebote eingehen, kommt es zwangsläufig zu Unterscheidungen in weiteren Aspekten als dem Preis, sei es die Herstellweise, die Qualität der Baustoffe oder die Gestalt des Bauwerks, die entsprechend bewertet werden müssen.

Wird geprüft, ob das Nebenangebot dem Verwaltungsentwurf technisch gleichwertig ist, und der Preis ist das ausschließliche Zuschlagskriterium, so kann der Auftraggeber ein technisch besser geeignetes Verfahren schon dann nicht beauftragen, wenn das Nebenangebot nur marginal teurer als das günstigste Angebot auf den Verwaltungsentwurf ist.

3. Was bedeutet das Urteil in der Praxis?

Die Entscheidung betrifft Vergaben oberhalb der Schwellenwerte. Unterhalb der Schwellenwerte ergeben sich durch den Beschluss des BGH keine Änderungen. Der Beschluss bestärkt die Forderung nach der durch die öffentliche Vergabestelle vorzunehmenden Identifikation des besten Angebotes. Will die Vergabestelle Nebenangebote zulassen, so ist sie nun gezwungen, sowohl Mindestanforderungen als auch Zuschlagskriterien zu definieren. Die Vergabestelle muss sich vor der Bekanntmachung darüber klar werden, welche Anforderungen der Inhalt von Nebenangeboten erfüllen muss. Darüber hinaus muss die Vergabestelle sich genau über die Ziele der Ausschreibung klar werden, um die Zuschlagskriterien sicher festlegen zu können.

Mit dem Instrument des Nebenangebotes soll auch die Möglichkeit gegeben werden, innovative Lösungen zu entwickeln und vorzuschlagen. Es ist aber nicht möglich, abschließend Anforderungen an Dinge zu formulieren, die noch nicht bekannt sind, eben weil sie innovativ sind. Hierbei ist zu beachten, dass es sich nicht um eine fehlende Sachkenntnis der Ausschreibungsstelle oder des beauftragten Planungsbüros handelt, sondern Innovationen immanent ist. Gerade die Förderung von Innovationen erfordert es also, dass Anforderungen an sie auch dann noch formuliert werden dürfen, wenn sie dem Ausschreibenden bekannt werden.

Offen bleibt, wie mit funktionalen Leistungsbeschreibungen umzugehen ist. Ist die Leistung vollständig funktional beschrieben, so sind Nebenangebote gar nicht definiert, so dass der Bieter bei einer funktionalen Leistungsbeschreibung erheblich mehr Spielraum hat als bei einer konstruktiven Leistungsbeschreibung. Eine funktionale Leistungsbeschreibung stellt eine Summe von Mindestanforderungen dar. Es ist durch den BGH nicht entschieden worden, dass bei einer funktionalen Leistungsbeschreibung der Preis nicht das alleinige Zuschlagskriterium sein darf. Vergabestellen, die das Aufstellen von Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien vermeiden wollen, könnten daher geneigt sein, die Leistung nicht konstruktiv zu beschreiben, sondern funktional. Dies würde nach Ansicht der Verfasser aber dem Geist des Beschlusses des BGH zuwiderlaufen. Bislang liegt zu dieser Frage eine Entscheidung des OLG Düsseldorf aus Ende 2013 vor, nach der die Wahl des Preises als alleiniges Zuschlagskriterium bei einer „funktionalen oder nur teilfunktionale[n] Ausschreibung“ als „ungeeignet“ bezeichnet wird.

4. Empfehlungen für die Vergabepraxis

In Kürze wird am Institut für Baubetrieb und Baumanagement an der Universität Duisburg – Essen eine Dissertation abgeschlossen werden, in der nachgewiesen wird, dass Nebenangebote der Auftraggeber- und Auftragnehmerseite Nutzen stiften können. Durch Nebenangebote können finanzielle Ersparnisse in einer Größenordnung von 5 % bis 10 % erzeugt werden. Ein volkswirtschaftlicher Nutzen ergibt sich durch den Anreiz zu Innovationen durch die Bieter. Bieter können mit guten Nebenangeboten die Wahrscheinlichkeit erhöhen, einen Auftrag zu erhalten. Durch die Zulassung von Nebenangeboten können damit volkswirtschaftlich effizientere Allokationen erreicht werden. Gerade die öffentlichen Bauherren sollten daher konsequent die Möglichkeiten nutzen, die sich ihnen durch Zulassung von Nebenangeboten bieten. Die Beurteilung eines Angebotes sollte daher nicht nach dem Preis alleine erfolgen, sondern es sollte der Nutzen ermittelt werden, der sich durch das Bauwerk selbst und seine Erstellung für den Auftraggeber ergibt.

Die Mindestanforderungen an Nebenangebote sollten gewerkebezogen angegeben werden und nach Möglichkeit quantifizierbar sein. Die Nennung einschlägiger Richtlinien oder Normen ohne konkreten Bezug zum Projekt reicht nach einem Beschluss des EuGH nicht aus6. Nur dann kann der Bieter erkennen, ob seine Überlegungen zu einem möglichen Nebenangebot erfolgversprechend sind. Werden die Gewerke, zu denen Nebenangebote zugelassen sind, bereits mit der Bekanntmachung genannt, erkennt der potentielle Bieter bereits zu diesem Zeitpunkt, ob das Anfordern der Verdingungsunterlagen für ihn sinnvoll ist. Eine Quantifizierung erleichtert eine objektive Entscheidungsfindung.

Die Zuschlagskriterien sollten so gewählt werden, dass sich mit ihnen der Nutzen des Bauwerks und seiner Erstellung ermitteln lässt. Im allgemeinen Fall ergibt sich der Nutzen eines Projektes aus dem Preis, der Qualität, und der Bauzeit. Preis und Bauzeit lassen sich objektiv messen. Die Beschreibung der Qualität bereitet mehr Schwierigkeiten, da sie einen Sammelbegriff für eine Vielzahl von Eigenschaften darstellt. Die Forderung nach einer „insgesamt guten Qualität“ reicht damit nicht aus, sondern es sind spezifische quantitative Faktoren zu formulieren, die einen Einfluss auf den Nutzen haben. Beispielsweise ist die Lärmemission bei innerstädtischen Baustellen von erheblich größerer Bedeutung als in unbesiedelten Gebieten. Die öffentliche Vergabestelle hat hier die Möglichkeit, soziale Kosten in die Angebotswertung einfließen zu lassen. Dieser Möglichkeit werden sich Privatunternehmen vor dem Hintergrund des Ziels der Gewinnmaximierung nicht bedienen können, die öffentlichen Auftraggeber haben hier aber eine etwas anders gelagerte Aufgabe.

Unter der Annahme, dass die Teile der Leistungsbeschreibung, zu denen keine Nebenangebote zugelassen sind, so detailliert und abschließend formuliert sind, dass sich die Angebote in nichts als dem Preis unterscheiden können, ist es möglich, die Zuschlagskriterien ausschließlich auf die übrigen Teile der Leistungsbeschreibung und damit auch die Nebenangebote anzuwenden. In der Mehrzahl der Fälle jedoch ist die Leistung nicht vollumfänglich und abschließend beschrieben, so dass der Nutzen unter Verwendung des gesamten Angebotsinhaltes zu ermitteln ist.

Ausblick

Es ist denkbar, dass einige Vergabestellen die vom BGH geforderte Vorgehensweise, die zur Zulassung von Nebenangeboten notwendig ist, für die Praxis als zu kompliziert betrachten werden, mit der Folge, dass zukünftig Nebenangebote weniger häufig zugelassen werden.

Eine andere mögliche Konsequenz des Beschlusses ist, dass aus Vorsicht die Entscheidung des BGH, die sich auf den Oberschwellenbereich bezieht, durch die Vergabestellen auch auf den Unterschwellenbereich angewendet wird.

Der BGH hat aber 2011 entschieden, dass unterhalb der Schwellenwerte keine Mindestanforderungen definiert werden müssen7. Aber auch unterhalb der Schwellenwerte ist das am besten geeignete Angebot zu identifizieren, so dass theoretisch auch hier Zuschlagskriterien zu definieren sind. Das Formulieren von Zuschlagskriterien bei der Ausführung einfacher Leistungen, wie zum Beispiel Pflasterarbeiten, käme eher einem Erfüllen formalistischer Anforderungen gleich. In solchen Fällen sollte die Zulassung von Nebenangeboten auch möglich sein, wobei eine einfache Prüfung einer „Nutzengleichheit“ ausreichen sollte. Bei dieser Vorgehensweise werden die Anforderungen, wie sie oberhalb der Schwellenwerte gelten und als theoretisch richtig und notwendig erkannt wurden, nicht vollständig umgesetzt, sondern sie werden zur Ermöglichung eines pragmatischeren und schnelleren Vorgehens abgeschwächt. Um der Vergabestelle die Beauftragung von Angeboten zu ermöglichen, die nicht die preisgünstigsten sind, darf der Preis nicht als alleiniges Zuschlagskriterium gewählt werden. Die Vergabestelle muss dann aufgrund einer allgemeinen Bewertung aller Aspekte des Angebotes das am besten geeignete Angebot beauftragen, aber ohne vorherige, dezidierte Definition mehrerer Zuschlagskriterien. Hierzu sollte der Ermessensspielraum der Vergabestelle ausreichen.


Autoren:

Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Wulf Himmel, Dortmund, himmel.wulf@gmx.de
Prof. Dr.-Ing. Alexander Malkwitz, Leiter des Instituts für Baubetrieb und Baumanagement an der Universität Duisburg-Essen, alexander.malkwitz@uni-due.de