Kontextuelles Projektmanagement für die Bau- und Immobilienwirtschaft

1. Kein Algorithmus für erfolgreiches Projektmanagement

Es gibt keine allgemein gültigen verallgemeinerungsfähigen Rezepte für erfolgreiches Projektmanagement. Es gibt sie genauso wenig, wie Algorithmen für eine erfolgreiche Betriebsführung. Die Betriebswirtschaftslehre hat zwar Regeln für erfolgreiche Unternehmensführung entworfen und mit Compliance-Systemen sogar absichern wollen. Die regelmäßig auftretenden Konjunkturzyklen und extreme Fehlsteuerungen, wie sie etwa mit der Finanzkrise über die Wirtschaft hereingebrochen sind, verdeutlichen aber, dass gravierende Fehlentwicklungen selbst in Bereichen nicht ausgeschlossen sind, die sich mithilfe mathematischer Modelle bis an die Grenze des Möglichen aufgerüstet haben. Entsprechende Entwicklungen zeigen sich derzeit beim Projektmanagement, wenn fehlgeschlagene Großprojekte wie die Elbphilharmonie oder aber der Flughafen Berlin Schönefeld im Fokus stehen. Die bei sozioökonomischen Vorgängen und Projekten des Bau- und Immobiliensektors anzutreffenden Unsicherheiten werden sich nie durch ein allgemein gültiges Modell oder Handlungsmuster beherrschen lassen.

2. Instrumentenkästen der Betriebswirtschaft und des Projektmanagements

Selbstverständlich gibt es viele Instrumente der Betriebswirtschaft und des Projektmanagements,  die bei Standardaufgaben ein belastbares Fundament für die Manager geben können. Wer heute als vorsichtiger Kaufmann agiert oder die entwickelten Handwerkszeuge des Projektmanagements für Bau- und Immobilienprojekte, wie sie etwa von DVP/AHO oder GPM/PMI entwickelt worden sind, verwendet, der erhöht die Wahrscheinlichkeit des Gelingens der Projektabwicklung. Für das Projektmanagement etwa bilden die entwickelten Handlungsprogramme für die Organisation, die Qualitäts-, Kosten- und Terminsteuerung einen Rahmen ab, der eine anspruchsvolle Basis für die Beherrschung der Projektprozesse darstellt. Eine Erfolgsgarantie ist hiermit indessen nicht verbunden, wie aktuelle Fehlentwicklungen bei Großprojekten zeigen, bei den durchgängig große Projektmanagementunternehmen beteiligt waren.

3. Ergebnisse der Projektwissenschaft nur fragmentarisch

Es gibt unterschiedliche Erklärungsmodelle für die konvergente Verbreitung von Projektmanagementwissen über die gesamte Welt. Es gibt aber keinen einheitlichen Erklärungsansatz und kein in sich geschlossenes vollständiges Verständnis für Erfolgsparameter des Projektmanagements. Immer wieder werden von Projektbeteiligten einzelne Erfolgsrezepte und Erfolgsbeiträge benannt, deren Nachahmung empfohlen wird. Dazu gehören etwa:

  • instrumentelle Ansätze, wie z. B. Leistungsbilder  des DVP, GPM und ähnliche
  • mehr personell orientiertes Management der sogenannten weichen Faktoren
  • systemtechnische und konstruktivistische Ansätze
  • Erklärungsmodelle eines agilen Projektmanagements
  • Ansätze des Projektpartnerings

Auch in der Zukunft werden punktuelle/ansatzbezogene Konzepte diskutiert werden, ohne dass sie sich als gesamthaftes Erklärungsmodell etablieren werden. Die Suche nach dem perfekten Projektmanagement kann schwerlich darin bestehen, ein allumfassendes Handlungsmuster zu entwickeln, welches für jeden Projekttypus und jede Projektsituation geeignet sein kann. Auch die Kombination aller Ansätze ist nicht erfolgversprechend. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Projekte auch gelungen sind, wenn die heutigen technischen Möglichkeiten der Organisations-, Qualitäts-, Kosten- und Terminsteuerung überhaupt nicht eingesetzt worden sind. Genauso wenig haben hoch entwickelte EDV-gestützte Projektplattformen für das Kommunikationswesen, vernetzte Terminpläne und Kostenverfolgungssysteme Projektschieflagen bei Großprojekten vermeiden können. Auch Appelle, die weichen Faktoren des Projektmanagements nicht zu vernachlässigen, haben Fehlsteuerungen bei Projekten nicht verhindern können. Systemtechnische und konstruktivistische Ansätze können ebenfalls nur einzelne Projektabläufe erklären und ableitbare Handlungsempfehlungen für bestimmte Projektsituationen geben. Ihre Grenzen zeigen sie indessen oft bei ganz konkreten Projektsituationen, bei denen konstruktivistische oder systemtechnische Überlegungen von harten Fakten eingeholt werden. Bisher entwickelte Ansätze des Projektmanagements können in bestimmten Fällen Hilfestellung leisten, in anderen wiederum nicht. Partnering etwa dient in der Regel der Stabilisierung von Projektstrukturen. Bei einem größeren intellektuellen Gefälle der Beteiligten oder auch dem Auftreten größerer Risiken, scheitern auch diese Techniken. Weder die Addition aller vorbenannten Ansätze verspricht widerspruchsfreie Ergebnisse, noch ist der einzelne Erklärungsansatz allein geeignet, Projekte wirklich sicher zum Erfolg zu führen.

4. Kontextuelles Projektmanagement als Denkansatz

Kleine, große und ganz große Projekte werden durch ganz individuelle, situative Projektgegebenheiten bestimmt. Diese können sich beziehen auf:

  • die Vorbedingungen eines Projektes (so z.B. anfänglich einbezogene Projektpartner und Bedingungen)
  • das Projektumfeld (bis hin zu konjunkturellen Gegebenheiten)
  • Besonderheiten der Aufgabenstellungen (technisch/wirtschaftlich/juristisch)
  • Besonderheiten der Beteiligten (z.B. hinsichtlich Know-how und Erfahrung sowie Verlässlichkeit) sowie schließlich
  • die Projektkomplexität (speziell bei Großprojekten)

Für alle diese besonderen Projektsituationen müssen spezifische Organisations- und Steuerungsansätze entwickelt und eingesetzt werden. Jeder Projektleiter wird bei einem größeren oder großen Projekt dafür Sorge tragen, dass die instrumentellen Ansätze in Bezug auf Organisation, Qualität, Kosten und Termine im Projekt verankert werden. Aber bereits insoweit gibt es keine Patentlösung. Jedes Projekt hat aufgrund der vorgenannten Randbedingungen seine speziellen Anforderungen. Kernproblem ist es immer wieder, geeignete Personen zu finden, die für die Projektabwicklung zusammenkommen, sei es mittels des Einsatzes geeigneter Projektbeteiligter aus der eigenen Organisation, sei es mittels Beschaffung von Personalressourcen im Wege externer Beschaffungen. Freiräumefür die Selbststeuerung von Projektbeteiligten werden dabei genauso festzulegen sein, wie konstruktivistische Anforderungen an die Projektdefinition als solche und etwaige Vorgaben für einen partnerschaftlichen Umgang und ein agiles aufgeklärtes Auftreten der Projektleitung im Verhältnis zu allen Projektbeteiligten. Aber: In welchem Umfang und in welchem Kontext auf einzelne Ansätze zurückgegriffen wird, muss in jedem Zeitabschnitt des Projektes neu beantwortet werden. Was bei dem einen Projekt richtig war, mag bei einem anderen Projekt sogleich in eine Krise führen. Speziell die auf vielen Kongressen dargestellten Projektbeispiele helfen dem Praktiker kaum weiter. Die Erkenntnisse aus Beispielsprojekten sind in der Regel genauso wenig auf andere Projekte übertragbar, wie entsprechende Erfolgsmodelle der Betriebswirtschaft auf andere Unternehmen. Was im Übrigen heute als erfolgskritisch angesehen wird, muss es morgen nicht mehr sein. Lehren die gestern richtig waren, können morgen nicht mehr passen.

Was bedeutet dies für ein erfolgreiches Projektmanagement:

  • es gibt keine allgemeingültigen für jede Projektsituation geltenden Lösungen
  • ein Projektleiter muss alle Begründungsansätze und denkbaren Instrumente der Handlungsansätze des Projektmanagements kennen und möglichst bereits einmal eingesetzt haben, um über das entsprechende Erfahrungswissen zu verfügen
  • die kontextuelle Anwendung sinnhafter Handlungsansätze setzt die kritische Analyse des Projektes und des Projektfortschritts in regelmäßigen Abständen voraus
  • das kritische Überdenken von Handlungsalternativen und die Neugewichtung eingesetzter Werkzeuge ist speziell bei größeren Projekten unabdingbar

Immer ist zu prüfen, ob Projektbeteiligte ihre Aufgaben wirklich erfüllen können (nach Maßgabe von Kompetenz und Erfahrung). Personelle Lücken sind zügig zu schließen und inkompetente interne oder externe Projektbeteiligte müssen kurzfristig ausgetauscht werden. Im Rahmen eines interdisziplinären Betrachtungs- und Bewertungsverfahrens sind Lösungsmöglichkeiten für konkrete Projektsituationen zu erarbeiten und der jeweils bestmöglichste Handlungsansatz des Projektmanagements ist einzusetzen.

Erst die situative Kombination aller unterschiedlichen Handlungsansätze aus den Bereichen Technik, Wirtschaft und Recht kann zur Stabilisierung der Projekte nachhaltig beitragen.

5. Kontextuelles Projektmanagement im Einsatz

Der erfolgreiche Projektmanager muss somit auf dem „Klavier“ der Projektmanagementmethoden und Handlungswerkzeuge spielen können. Er muss offen sein für die jederzeitige Infragestellung des bisherigen Projektablaufes, sich interdisziplinär unterstützen und seinen Betrachtungswinkel erweitern lassen, um kontextuell die jeweils beste Reaktionsmöglichkeit auf Soll-/Ist-Abweichungen zu finden und ein Projekt auch unter ungewöhnlichen Randbedingungen zum Erfolg zu führen.