Als Mitglied der Arbeitsgruppe Projektsteuerung innerhalb der „Reformkommission Bau von Großprojekten“ hat der Verfasser mit Dipl.-Ing. Harald Rohr, Leiter des Integrierten Facility Management der Fraport AG einen Methoden-Abgleich mit dem unter seiner Verantwortung errichteten Flugsteig A-Plus vorgenommen. Weil dabei ein hoher Grad an Übereinstimmung festgestellt werden konnte, bietet dieser Beitrag auch die Chance, ein Gefühl für die praktische Umsetzbarkeit der Empfehlungen zu erhalten, und so ihre konkrete Anwendung zu befördern.
Beim Flugsteig A-Plus handelt es sich um eine Erweiterung des bestehenden Terminals 1 nach Westen mit einem Investitionsvolumen von rd. EUR 800 Mio. Der Neubau umfaßt eine Fläche von 185.400 m² und erstreckt sich über vier Ebenen. Mit knapp 800 m Länge bietet der Flugsteig 6,0 Millionen Passagieren Platz. Der Flugsteig kann bis zu 7 Großraumflugzeuge gleichzeitig aufnehmen, ein innovatives Positionierungskonzept erlaubt bei kleinerem Fluggerät (z. B. A321) sogar die gleichzeitige Abfertigung von bis zu 11 Flugzeugen. Die Verbindung in den baulichen Bestand erfolgt über die sogenannte „Wurzel“, in der v. a. Retailflächen und Loungeflächen der Lufthansa untergebracht sind. Die Inbetriebnahme erfolgte termin- und kostengerecht im Oktober 2012.
Harald Rohr hat seine Praxis-Erfahrungen aus dem Projekt mit den zehn Empfehlungen der Reformkommission abgeglichen und zusammen mit dem Verfasser folgendes Fazit gezogen:
1. Kooperatives Planen im Team
Die Reformkommission empfiehlt zunächst eine genaue Ermittlung des Projektbedarfs in Zusammenarbeit mit dem künftigen Nutzer. Er bildet die Grundlage für die anschließende Planung durch ein interdisziplinär zusammengesetztes Planungsteam. Dabei ist die Planung sorgfältig gegen unkontrollierte und projektzielgefährdende Änderungen abzusichern.
Die Architektenleistungen zum Flugsteig A-Plus wurden im Rahmen eines Planungswettbewerbs vergeben. Deshalb stand der Projektbedarf schon vor Planungsbeginn fest und lag in Form einer Funktionsplanung vor. Dazu haben der Terminal-Betrieb und andere Nutzer des Flugsteigs ihre Prozess-Anforderungen formuliert, die in enger Abstimmung aller Beteiligten durch Projektentwickler und Planer optimiert auf einander abgestimmt wurden. Auf dieser Grundlage wurden eine Baukostenobergrenze ermittelt und Kostenziele abgeleitet.
Ab Planungsbeginn hat Fraport sukzessive alle Planer in einer Großraum-Büroetage zusammengeführt, wie sie etwa im Lean Management auch als „big room“ bezeichnet wird. Kurze Wege, direkte Kommunikation und schlanke Hierarchien haben den interdisziplinären Austausch erleichtert und befördert. Der förmliche Abschluß und die Abnahme insbesondere der frühen Leistungsphasen 2 und 3 haben nicht nur Planungsqualität sichergestellt, sondern markierten gleichzeitig die gemeinsam erarbeiteten Leitplanken für den jeweils nächsten Planungsabschnitt.
Auch projektziel-gefährdende Änderungen ließen sich so besser erkennen, die von Anfang an im Risiko- und Änderungsmanagement verfolgt wurden. Als Wiederholungsbauherr mit eigenen Anforderungs- und Planungs-Kompetenzen profitiert Fraport im gesamten Planungs-Prozess von der Erfahrung und dem Verständnis dafür, daß es ohne Kompromisse auf allen Seiten nicht geht. So konnten Änderungen auf ein Minimum beschränkt, und z. T. sogar „Design-Freezes“ durchgesetzt werden. Unvermeidbare oder unternehmerisch wesentliche Änderungswünsche sind, nachdem sie vom Unternehmen beschlossen wurden, mit ihren Kosten- und Terminauswirkungen in einen fortgeschriebenen Projektauftrag eingeflossen.
2. Erst planen, dann bauen
Die Reformkommission empfiehlt, mit dem Bau erst dann zu beginnen, wenn eine lückenlose Ausführungsplanung mit detaillierten Angaben zu Kosten, Risiken und Terminen für das gesamte Projekt vorliegt. Allenfalls vollständig abtrennbare Teilprojekte oder Gewerke könnten zeitlich vorgezogen werden.
Gerade bei technisch hoch ausgestatteten Gebäuden bewirkt die strikte Einhaltung der Empfehlung sehr lange Projektlaufzeiten, wenn etwa der Baugrubenaushub auf den Abschluß der Uhrenplanung warten soll. Das macht Projekte nicht nur unwirtschaftlich, es birgt auch die Gefahr von Erosionsschäden im Projekt, wenn sich etwa im Laufe der Zeit Anforderungen verändern oder Wissensträger das Projekt verlassen. Nicht nur für Architektur- und Ingenieurbüros sind gut organisierte schnelle Projekte besser als Langläufer.
Beim Flugsteig A-Plus wurde deshalb zunächst die umfangreiche Baufeldfreimachung, der Erdbau und der Rohbau beauftragt, um mehr Zeit für die weitere Ausführungsplanung zu gewinnen. Nachdem die Ergebnisse des vorbeschriebenen Planungsprozesses in Verbindung mit dem etablierten Änderungsmanagement eine hohe Qualität und Stabilität der bisherigen Planung erzeugt haben, erschienen die verbliebenen Risiken beherrschbar. Auch hier ist die kooperative Planung ein Schlüssel zum Erfolg, indem sich die Planungsbeteiligten untereinander eng abstimmen und mutig unbekannte Größen einvernehmlich durch tragfähige Annahmen ersetzen.
Insofern hat Fraport die Empfehlung lediglich in einer erweiterten Auslegung angewandt, und würde dies unter Chancen-Risiko-Abwägungen in vergleichbaren Fällen auch wieder so tun. Diese Abweichung von der Empfehlung kann jedoch nur solchen Bauherren empfohlen werden, die wirklich wissen und beherrschen, was sie tun und die sich auf ein erfahrenes Planungs-Team verlassen können, das sicher damit umgehen kann. Weil das auch seinen Preis hat, ist die 4. Empfehlung der Reformkommission im übrigen auch auf Architekten- und Ingenieurleistungen anzuwenden.
3. Risikomanagement und Erfassung von Risiken im Haushalt
Die Reformkommission empfiehlt, Haushaltsmittel erst dann freizugeben, wenn ein Risikomanagement installiert ist, und die von diesem monetär ermittelten Risiko-Kosten im Haushalt mit einzuplanen. Die Ausgestaltung des Risikomanagement sollte entsprechend der einschlägigen DIN-/ISO-Normen erfolgen.
Wesentliche Voraussetzungen für ein wirkungsvolles Risikomanagement sind eine stabile und nachvollziehbare Kostenbasis, eine enge inhaltliche Verankerung im Projekt und seine Unabhängigkeit. Die Kostenbasis ist von Beginn an im Rahmen des beschriebenen Planungsprozesses entwickelt, und im steten Abgleich mit den Kostenzielen des Projektes kontinuierlich fortgeschrieben worden. Zur Qualitätssicherung wurden diese Kostenermittlungen gesondert durch Baukosten-Spezialisten plausibilisiert und dabei auch auf Risiken hin geprüft. Zusätzlich wurde frühzeitig ein unabhängiges Risiko-Management implementiert, das über die Kostenrisiken hinaus mit einem „Ohr auf der Schiene“ das Projekt inhaltlich begleitet hat. Unterstützt wurde das dadurch, daß Kosten- und Risikomanagement zusammen mit den Planern im „big room“ angesiedelt waren und insofern unter Wahrung der gebotenen Unabhängigkeit und des wechselseitigen Respekts dennoch im Projekt-Team integriert waren.
Auf dieser Grundlage konnten Kosten und Risiken von Anfang an im Projektbudget berücksichtigt werden. Die gesonderte Ausprägung spezialisierter Rollen und Ressourcen für Kosten- und Risikomanagement haben in ihrer Unabhängigkeit eine Qualität zutage gefördert, die ansonsten als Nebenleistung im Tagesgeschäft nicht hätte erzielt werden können. In den regelmäßig von den Spezialisten moderierten Kosten- und Risikogesprächen konnten auch vorausschauend Aspekte identifiziert und Gegensteuerungsmaßnahmen entwickelt werden, die ansonsten verborgen geblieben wären. Damit wurden die Kosten- und Risikomanager auch nicht als unangenehme Kontrolleure wahrgenommen, sondern als Unterstützer auf dem Weg zu den gemeinsamen Projektzielen akzeptiert und anerkannt.
4. Vergabe an den Wirtschaftlichsten, nicht den Billigsten
Die Reformkommission rät davon ab, eine Vergabe ausschließlich auf der Grundlage des Preises vorzunehmen. Vielmehr müßten qualitative, nicht direkt monetarisierbare Aspekte wie etwa Erfahrung und Zuverlässigkeit stärker in die Angebotsbewertung mit einfließen. Desweiteren empfiehlt die Kommission bei Großprojekten zugunsten von Kosten- und Terminsicherheit zusammengefaßte Vergaben vorzunehmen.
Wenngleich der letzte Punkt auch als eine Art „Glaubensfrage“ betrachtet werden kann, so setzt doch die Entscheidung für die eine oder andere Vergabeart überhaupt erst das Vorhandensein entsprechender Angebote voraus. Nicht nur der Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt hat vor einigen Jahren gezeigt, daß das Großprojekt nicht sinnvoll auf dem Markt der Generalunternehmer-Leistungen plazierbar war. Deshalb sollte einer solchen Entscheidung eine geeignete Marktsondierung vorangehen. Fraport hat insofern sehr gute Erfahrungen mit Informationsveranstaltungen, Branchentreffs und Verbandsgesprächen gemacht und so auch Anbieter-Märkte entwickeln können, die vorher nicht existierten. So konnten etwa Ängste und Vorbehalte im Mittelstand abgebaut werden, was zu einer höheren Beteiligung an Ausschreibungen geführt hat.
Beim Flugsteig A-Plus hat sich Fraport bei der Bauausführung aus Risiko-Aspekten bewußt gegen zusammengefaßte Vergaben entschieden. Wo vom Volumen her vertretbar, wurden darüber hinaus sogar einzelne Gewerke weiter in Lose unterteilt und an unterschiedliche Bieter vergeben. So führen potentielle Probleme eines Auftragnehmers während der Bauausführung nicht gleich zu einem vollständigen Stillstand; der Bauherr erhält darüber hinaus zusätzliche Flexibilität, wenn es um die Ausführung zusätzlicher oder terminkritischer Leistungen geht. Rückblickend betrachtet hat sich dieses Vorgehen sehr bewährt, zumal die wenigsten Bauvorhaben völlig störungs- oder änderungsfrei ablaufen und der Bauherr so besser reagieren kann. Deshalb entwickelt Fraport für jedes Bauvorhaben eine individuell maßgeschneiderte Vergabestrategie unter Berücksichtigung der jeweils vorherrschenden Marktverhältnisse.
Bei der Entscheidung zugunsten des wirtschaftlichsten und nicht des billigsten Angebotes sind zwei Herausforderungen zu meistern: Zum einen müssen insbesondere bei öffentlichen oder Sektorenauftraggebern rechtlich abgesicherte Wege gefunden werden, nicht monetarisierbare Aspekte objektiv und diskriminierungsfrei bewerten zu können. Dies erfordert bereits bei bei der Wahl des Vergabeverfahrens, seiner Bekanntgabe im Amtsblatt der EU und bei der Erstellung der Leistungsverzeichnisse besondere fachliche und rechtliche Kompetenzen und Anstrengungen. Was bereits hier versäumt worden ist, kann hinterher oft kaum noch nachgeholt werden. Die Fraport AG unterhält auch aus diesen Gründen einen spezialisierten Bauleistungseinkauf, der diese Hürden nehmen hilft.
Die andere Herausforderung ist kultureller Art. Es ist nämlich grundsätzlich zu akzeptieren, daß sich die in Rede stehenden, sog. „weichen Aspekte“ nie zu hundert Prozent eindeutig und reproduzierbar in Zahlen fassen lassen werden. Deshalb erfordert die Wahl des wirtschaftlichsten Angebots letzten Endes auch die Bereitschaft, den Mut und die Befugnis eine Entscheidung treffen zu können, die durch keinen Zahlenvergleich eindeutig zu rechtfertigen ist und die sich möglicher Weise im Nachhinein als falsch herausstellen kann. Dem zuvor beschriebenen interdisziplinären Projektteam ist es aber zusammen mit dem Einkauf überwiegend sehr gut gelungen gelungen, die Grundlagen für solche Entscheidungen zu schaffen, die dann auch in den entsprechenden Gremien die notwendige Akzeptanz und Bestätigung gefunden haben.
Der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, daß der Qualitätsaspekt nicht auf die Bauwirtschaft beschränkt verstanden werden sollte. Fraport ist auch bei Planungsleistungen entsprechend verfahren.
5. Partnerschaftliche Zusammenarbeit
Die Reformkommission empfiehlt eine wirkungsvolle Verpflichtung aller Projektbeteiligen auf eine „echte“, ernst gemeinte partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Diese moralische Verpflichtung sollte etwa durch eine „Projekt-Charta“ fixiert werden. Der Auftraggeber soll die Zusammenarbeit durch wirkungsvolle Anreizmechanismen unterstützen.
Wie die Marktsondierung gezeigt hat, können Planer und bauausführende Unternehmen oft selbst entscheiden, ob sie auf ein Projekt anbieten oder nicht. Es spricht einiges dafür, daß diejenigen Unternehmen, die diese Wahl haben, begehrter und damit auch besser geeignet sind als jene Unternehmen, die einen Auftrag dringend „brauchen“. Und so hat die partnerschaftliche Zusammenarbeit schon vor der Auftragsvergabe begonnen, indem zwischen Fraport, Planern und Bauwirtschaft Kontakte aufgebaut, Beziehungen gepflegt, und Erwartungen ausgetauscht worden sind, die es in der Folge von beiden Seiten zu erfüllen galt.
Fraport hat dabei kein Geheimnis daraus gemacht, daß das Arbeiten an einem Flughafen und für einen Sektoren-Auftraggeber in vielerlei Hinsicht aufwendiger ist als etwa für einen Projektentwickler auf der grünen Wiese. Andererseits ist Fraport ein professionell aufgestellter, verläßlicher und fairer Partner der auch wirtschaftlich nicht darauf angewiesen ist, seine Partner unangemessen unter Druck zu setzen. So konnten Bauherr und Projektbeteiligte schließlich auf Augenhöhe zusammenfinden und Verträge abschließen, die überwiegend über die gesamte Projektlaufzeit getragen haben.
Eingetretene Störungen wurden meist konstruktiv und entlang der geschlossenen vertraglichen Vereinbarungen bereinigt. „Hart, aber fair“ hat Fraport die eigene Position dabei ebenso durchgesetzt, wie sie andere Positionen anerkannt und entsprechend den vertraglichen Regelungen vergütet hat. „In dieser sachlich-wertschätzenden Atmosphäre konnten auch schwierige Verhandlungen professionell und partnerschaftlich zum Erfolg geführt werden.“ bestätigt Dipl.-Ing. Christiane Schmitt, Gesamtprojektleiterin Ausführung. Gute Erfahrungen wurden dabei auch mit Anreizsystemen gemacht, mit denen selbst unter schwierigen Umständen anspruchsvolle Ziele noch rechtzeitig erreicht werden konnten. Allerdings soll hier auch nicht verschwiegen werden, daß der eine oder andere Malus gezogen werden mußte, wenn die vereinbarten Ziele dann doch nicht erreicht worden sind.
6. Außergerichtliche Streitbeilegung
Die Reformkommission empfiehlt die vertragliche Vereinbarung von internen und externen Konfliktlösungsmechanismen.
Im Flugsteig A-Plus waren Schlichtungsvereinbarungen fester Vertragsbestandteil. Dies war für die Auftragnehmerseite ein positives und vertrauensbildendes Signal dafür, daß Fraport mehr an objektiven und sachgerechten Lösungen interessiert ist als am eigenen Vorteil. Tatsächlich wurde die Schlichtungsvereinbarung in keinem Fall in Anspruch genommen, da die meisten Probleme bereits im Rahmen der Eskalation einvernehmlich gelöst werden konnten. Lediglich bei einer kleinen Anzahl von Fällen im einstelligen Prozentbereich war dies nicht möglich, so daß hier die Gerichte bemüht werden mußten.
7. Verbindliche Wirtschaftlichkeitsuntersuchung
Die Reformkommission empfiehlt, für das Projekt-SOLL auch unterschiedliche Beschaffungsmodelle zu vergleichen und das vorteilhafteste auszuwählen. Beschaffungsmodelle decken ein weites Spektrum von der Beschaffungsstrategie (Anmietung, Bau, Kauf, Leasing,…) über die Wertschöpfungstufe (Planung, Bau, Betrieb, Finanzierung, …), die Vergabestrategie (Einzelplaner, Generalplaner, … bzw. Fachlose, Generalunternehmer, …) bis hin zu öffentlich-privaten Partnerschaften ab.
Angesichts der Besonderheiten einer Spezialimmobilie wie der des Flugsteigs A-Plus hat sich Fraport für den Bau und Betrieb in eigener Regie und Finanzierung entschieden und behält damit die Kontrolle über die gesamte Wertschöpfungskette. Bezüglich der Vergabestrategie gilt das zur 4. Empfehlung Ausgeführte.
8. Klare Prozesse und Zuständigkeiten/Kompetenzzentren mehr lesen